Elektro-Chemotherapie
Die ursprüngliche Methode der Elektroporation in der Medizin
Wie die Irreversible Elektroporation (IRE) nutzt die Reversible Elektroporation (RE), die die Grundlage der Elektrochemotherapie (ECT) darstellt, kurze elektrische Pulse, um Poren – Löcher – in Zellmembranen zu erzeugen. Während sich bei der IRE diese Poren nicht mehr schließen und zum Zelltod führe, überlebt die Zelle die reversible Elektroporation – daher der Name „reversibel“ – umkehrbar; die Poren schließen sich wieder.
Die reversible Elektroporation wird seit langem in der Mikrobiologie eingesetzt, um Moleküle, die die normale Zellmembran schlecht überwinden können, z.B. auf Grund ihrer Größe oder wegen ihrer chemischen Eingenschaften, in Zellen ein- und auszuschleusen.
Dieses Prinzip kann auch auf zytotoxische Substanzen wie Chemotherapeutika, die die Zellen abtöten, angewendet werden. Diese Methode wird Elektro-Chemotherapie genannt und wurde 1991 von Luis Mir erfunden1,2. Dazu werden Chemotherapeutika benutzt, die Zellmembranen normalerweise nicht oder nur schlecht durchdringen, wie Bleomycin oder Cis-Platin. Werden diese Chemotherapeutika intravenös in den Blutstrom verabreicht, verteilen sie sich im ganzen Körper des Patienten, dringen aber bevorzugt in die elektroporierten Zellen ein, die Poren für eine unbehinderte Passage der Chemotherapiemoleküle aufweisen. Die Chemotherapie wird damit auf den Bereich der elektrischen Felder fokussiert: Die Wirkung der Chemotherapeutika auf elektroporierte Zellen ist bis zu 1000-fach stärker als auf Zellen im restlichen Körper. Nebenwirkungen der Chemotherapeutika außerhalb des Behandlungsfeldes sind somit vernachlässigbar.
Elektro-chemotherapie (ECT)
Die neue Alternative zur Strahlentherapie bei Prostatakarzinom-Rezidiven
Prostatakrebs hat hohe Rezidivraten. Innerhalb von 5 Jahren nach radikaler Prostatektomie (RPE) ist, je nach Tumorstadium und Aggressivität mit einer Rückkehr des Karzinoms in 10 bis 30 % aller Fälle zu rechnen (Gleason 7 und 8, PSA < 10), selbst wenn das Karzinom auf die Prostata beschränkt war.
Die Rückkehr des Karzinoms wird auch „biochemisches Rezidiv“ genannt, da es über einen erneuten Anstieg des PSA-Spiegels über Null erkannt wird. Da zu diesem Zeitpunkt unklar ist, wo genau sich das Rezidiv befindet und eine erneute Operation nicht möglich ist, wird bei biochemischen Rezidiven das gesamte „Prostatabett“, also die Stelle, an der die Prostata entfernt wurde und die umgebenden Gewebe, bestrahlt. Diese Methode wird auch bei der sogenannten adjuvanten Strahlentherapie, d.h. postoperative Bestrahlung, als lokale Tumorkontrolle angewendet.
„Blinde“ Bestrahlung des Prostatabettes bei
biochemischen Rezidiv
Geringe Präzision, hohe Nebenwirkungen
Obwohl bei einem biochemischen Rezidiv nur der PSA-Wert ansteigt aber bildgebend keine Tumorherde zu erfassen sind – oder meist erst gar nicht nach ihnen gesucht wird! – wird in den meisten Fällen eine Bestrahlung des Prostatabettes empfohlen. Auch wenn der wirkliche Grund für den PSA-Anstieg in einer nicht bekannten Lymphknoten- oder Knochenmetastase liegt.
Die Strahlentherapie des Beckens führt jedoch zu irreversiblen Schäden an den bestrahlten Geweben und Organen. Dadurch kommt es zu chronischen Reizungen der Blase und des Enddarmes mit häufigem Harn- und Stuhldrang, aber auch zu Inkontinenz oder Entleerungsstörungen. Außerdem löst die Strahlentherapie chronische Entzündungen und Vernarbungen aus und genetische Schäden, die wiederum Krebs auslösen können.
Besonders schwerwiegend ist die Tatsache, daß auch die Strahlentherapie kein Garant für eine Heilung des Prostatakrebs ist und dieser auch danach wieder auftreten kann. Eine erneute Bestrahlung ist dann jedoch in den meisten Fällen nicht mehr möglich, da bei der Überschreitung der Maximaldosis irreparable Schäden, sogenannte Strahlennekrosen, an den Nachbarorganen auftreten.
Behandlung von biochemischen Prostatakarzinom-Rezidiven ohne wesentliche Nebenwirkungen mit Elektrochemotherapie
Abhilfe könnte die Elektrochemotherapie (ECT) bieten. Mit ihr kann, wie bei der Stahlentherapie, das gesamte Prostatabett behandelt werden, wenn der Verdacht auf ein biochemisches Rezidiv vorliegt. Im Gegensatz zur Strahlentherapie ist die ECT jedoch eine wesentlich schonendere Alternative. Gesunde Gewebe und Organe werden durch eine ECT-Behandlung kaum oder gar nicht beschädigt, da die ECT primär schnell wachsende Zellen und somit primär Tumorzellen abtötet. Chronische Schäden, wie bei der Strahlentherapie, sind bei der ECT-Behandlung nicht zu erwarten.
ECT kann beliebig oft eingesetzt werden und schränkt herkömmliche Therapieverfahren nicht ein.
Daher kann die ECT auch beliebig oft wiederholt werden – ein großer Vorteil gegenüber der Einmaligen Anwendung der Strahlentherapie. Und: Sollte die ECT nicht das gewünschte Ergebnis liefern, sind alle herkömmlichen Verfahren ohne Einschränkung anwendbar.
IRE mit erweiterter
Wirksamkeit
IRE Plus Elektrochemotherapie (IR – ECT)
Elektroporationsverfahren basieren auf dem gleichen Prinzip: Mit Hilfe elektrischer Pulse, die elektrische Felder erzeugen, werden Poren in Zellmembranen erzeugt. Starke Pulse (bis 1500 V/cm) mit vielen Repetitionen (90 Pulse) führen zur irreversiblen Elektroporation (IRE) mit sofortigem Zelltod, weniger starke Pulse (500 – 1000 V/cm) mit geringerer Pulszahl (8 Pulse) zur reversiblen Elektroporation mit vorübergehender Bildung von Poren, die sich wieder schließen und damit zum Überleben der Zelle.
Schaut man sich die Feldverteilung um zwei Elektroden bei der irreversiblen Elektroporation an (siehe Abbildung) erkennt man, daß die Feldstärke in der Nähe der Elektoden hoch ist und mit zunehmendem Abstand von den Elektroden abnimmt. Wird also ein elektrisches Feld ausreichender Stärke für die irreversible Elektroporation aufgebaut, so das IRE-Feld räumlich begrenzt (Abb. 1, roter Bereich). Es wird allerdings immer von einem Feld geringerer Feldstärke umgeben (Abb. 1, grüner und blauer Bereich). In diesem Bereich geringerer Feldstärke findet eine reversible Elektroporation (RE) statt – und zwar bei jeder IRE-Behandlung.
Diese Tatsache kann zur Erweiterung des IRE-Behandlungsfeldes genutzt werden. Wird während der IRE-Behandlung eine Dosis Bleomycin verabreicht, dringt dieses in die elektroporierten Zellen im Bereich der reversiblen Elektroporation ein – und führt dort über den Mechanismus der Elektrochemotherapie zu einem Absterben der Zellen.
Die ist insbesondere bei aggressiven Tumoren, z.B. bei Prostatakrebs Gleason 7b – 10, nützlich, da aggressive Tumorzellen auf Grund ihrer Mobilität weit über den bildgebend darstellbaren Tumorherd hinaus im Gewebe verteilt sind – auch außerhalb der Prostata (siehe Abbildung). Die erklärt die hohen Rezidivraten nach Prostatektomie. Die Erweiterung des IRE-Ablationsfeldes durch das periphere ECT-Feld bietet die Möglichkeit, auch diese abgewanderten Tumorzellen abzutöten. Und da die ECT besonders schonend auf anatomische Strukturen wirkt, führt die Erweiterung des Ablationsfeldes nicht zu weiteren Schäden und Nebenwirkungen.
Die IR-ECT wurde in Zusammenarbeit unsere Ärzte und Physiker im VITUS Prostata Center entwickelt und zwischenzeitlich hunderte Male erfolgreich angewendet.
Gezeigt ist eine schematische Darstellung der Prostata mit zwei Karzinomherden, aus denen mobile Tumorzellen über die Prostatakapsel hinaus in das die Prostata umgebende Bindegewebe ausgewandert sind (kleine schwarze Pfeile). Bei einer chirurgischen Entfernung der Prostata entlang der Prostatakapsel bleiben diese im „Prostatabett“ zurück und sind für die häufigen Rezidive verantwortlich. Bei einer IRE-Behandlung reicht das Behandlungsfeld normalerweise schon über die Prostatakapsel hinaus (roter Bereich) und tötet einen Teil dieser außerhalb der Prostata gelegenen Tumorzellen ab. Bei einer kombinierten IRE plus ECT (IR-ECT) reicht das ECT-Behandlungsfeld noch weiter in die Umgebung der Prostata und tötet auch die weiter ausgewanderten Tumorzellen ab. Noch weiter nach distal verschleppte Tumorzellen, z.B. durch Transport in Lymphgefäßen, können auch der IR-ECT entgehen. Der Vorteil des peripheren ECT-Feldes ist die Tatsache, daß es eine nur minimale Toxizität auf anatomische Strukturen wie das neurovaskuläre Bündel und den Blasenschließmuskel ausweist so daß normalerweise keine Schädigung dieser Strukturen zu befürchten ist.
IRE plus Elektrochemotherapie (IRECT) – eine schonende Behandlungsmethode für aggressive Karzinome
Da die IR-ECT den IRE-Behandlungsbereich erweitert, ist sie besonders zur Behandlung aggressiver Karzinome geeignet.
Für die IR-ECT-Behandlung wird Patienten eine einmalige Dosis des Chemotherapeutikums Bleomycin verabreicht. Das Chemotherapeutikum Bleomycin wird seit vielen Jahren zur Behandlung von malignen Tumoren, insbesondere beim Hodenkarzinom eingesetzt. Bei der herkömmlichen Anwendung von Chemotherapeutika sind für eine wirksame Behandlung normalerweise mehrere Anwendungen erforderlich.
Bei einer ECT und bei der IR-ECT-Behandlung wird die Wirksamkeit des Chemotherapeutikums in der Zone der reversiblen Elektroporation (RE) um ein Vielfaches (bis zu 1000-fach) verstärkt, so daß eine einmalige Anwendung des Chemotherapeutikums ausreicht, um die Tumorzellen abzutöten.
Die typischen Nebenwirkungen einer Chemotherapie treten daher übelicherweise nicht auf.
IR-ECT wird in der Behandlung von Haut- und Knochentumoren bereits erfolgreich eingesetzt. Es ist die schonendste Methode für die Behandlung großer Bereiche mit tumorösem Gewebe. Denn durch IR-ECT können Krebszellen behandelt werden, die sich weiter weg von den IRE-Elektroden befinden. Dabei entstehen keine Schäden an umliegenden Organen oder am Gewebe (bei der Behandlung der Prostata z.B. von Blasenschließmuskel und Darm).
Indikationen für eine
behandlung mit
kombinierter
IR-ECT-Therapie
Bislang ist noch nicht völlig geklärt, bei welchen Indikationen eine kombinierte Behandlung von IRE und Chemotherapeutika stattfinden sollte. In dieser Richtung wird weiter geforscht. Deshalb werden im VITUS Prostata Center zur Zeit nur Patienten mit IR-ECT behandelt, die herkömmliche Therapieverfahren wie die radikale Prostataektomie (RPE) oder eine Strahlentherapie (RT) ablehnen oder bei denen eine solche nicht oder nur mit inakzeptablen Nebenwirkungen möglich ist.
Zu den möglichen Anwendungsgebieten für die IR-ECT gehören:
- Patienten mit hochgradigem Prostatakarzinom (mindestens Gleason 7b)
- Patienten mit einem Prostatakarzinom, das bereits in Rektum oder Blasenwand eingedrungen ist
- Patienten mit beginnendem Befall des Schließmuskels, der zu Inkontinenz führen könnte
- Patienten mit komplexen fokalen Rezidiven nach Operation, Strahlenbehandlung oder HIFU (hochintensiver fokussierter Ultraschall)
- Patienten mit Metastasen in den Lymphknoten, Knochen oder in bestimmten Fällen auch Metastasen in anderen Organen