Die Geschichte der Vitus Privatklinik
Physiker und Ärzte entwickeln eine schonendere Therapie für Prostatakrebs
Ich bin Michael Stehling, Arzt, Radiologe und Physiker. Das VITUS Prostata Center wurde 2011 von mir gegründet.
Die ersten Jahrzehnte meiner Karriere habe ich mit der Entwicklung und klinischen Implementierung der Kernspintomographie verbracht. Ich hatte das Glück, nach meinem Studium der Medizin und Physik, zunächst von Prof. Ian Isherwood in Manchester, UK, gefördert zu werden. Prof. Isherwood stellte mich dem Physiker und späteren Nobelpreisträger für Medizin, Sir Peter Mansfield, in Nottingham vor. Peter Mansfield, neben Paul Lauterbur einer der beiden Erfinder der Kernspintomographie, gab mir die Möglichkeit, als PhD Student und Forschungsassistent an der technischen Entwicklung der Kernspintomographie teilzunehmen.
Nach Aufenthalten in der Schweiz und im Siemens Forschungslabor in Erlangen, verbrachte ich danach zunächst zwei Jahre als Clinical Fellow an der Harvard Medical School. Nach mehreren Jahren als Leiter der Sektion Kernspintomographie am Klinikum Großhadern verließ ich die Universität und gründete meine eigenen Unternehmungen.
Die Grundlagen für IRE in Deutschland mit Unterstützung aus den USA
Die Grundlage für das VITUS Prostata Center wurde 2010 während meiner Professur an der Boston University gelegt. Mein Freund und Mentor Prof. Ducksoo Kim, den ich schon von meiner Zeit an der Harvard Medical School kannte, wies mich eines Tages auf ein neues Ablationsverfahren für Gewebe hin, das angeblich Zellen selektiv zerstören kann, während andere Gewebeanteile erhalten bleiben – der Irreversiblen Elektroporation, kurz IRE genannt.
Gefördert von Prof. Kim und dem damaligen Leiter der Radiologie am Boston Medical Center der Boston University, Prof. Alexander Norbash, war mir sofort klar, dass wir diese Methode auf ihre Eignung zur Behandlung von Prostatakrebs evaluieren sollten. Denn die Prostata ist umgeben von empfindlichen Strukturen, die bei herkömmlichen Behandlungen wie der chirurgischen Entfernung der Prostata und der Strahlentherapie zerstört werden, mit gravierenden Nebenwirkungen. Diese -glaubten wir – könnten durch den Einsatz der IRE vermieden werden.
Die US-amerikanische Firma AngioDynamics hatte zu diesem Zeitpunkt gerade das Start-up Onkobionics gekauft, mitsamt dem ersten Gerät zur Gewebeablation mit IRE – das bei AngioDynamics den Produktnamen NanoKnife® erhielt. Ich kaufte zwei NanoKnifes, eines für meine Praxisklinik in Offenbach, ein zweites für die Boston University zu Forschungszwecken. Versuche, eine Kooperation mit der urologischen und/oder radiologischen Abteilung an der Universitätsklinik Frankfurt am Main zu starten waren gescheitert. Man hatte an der Klinik kein Interesse an IRE und dem NanoKnife®.
Also begannen wir, zunächst in unserem eigenen radiologischen Institut, dem Institut für Bildgebende Diagnostik, später im Prostata Center, dem Vorläufer des VITUS Prostata Center, mit der Behandlung von Männern mit Prostatakrebs mittels IRE. Das Ziel war klar: Die schonende Entfernung der Krebszellen unter Vermeidung der häufigen Nebenwirkungen etablierter Behandlungsmethoden von Prostatakrebs, nämlich Impotenz und Inkontinenz. Denn die Technik von IRE funktioniert so, dass nur Zellen zerstört werden, während Gewebeinfastruktur, Nerven und Gefäße erhalten bleiben.
Mein Team bestand aus zwei Physikern, Enric Günther und Nina Klein, meinem radiologischen Kollegen Dr. Stefan Zapf und mir selbst. Große Unterstützung erhielten wir von dem sehr erfahrenen Anästhesisten, Dr. Oliver Grohs, und unseren Schwestern bei VITUS.
Erfolgreiche Etablierung des VITUS Prostata Center
Internationale und interdisziplinäre Kooperation in der Forschung und klinischen Anwendung von Elektroporationsverfahren
Zwischen 2011 und 2020 entwickelten wir die IRE und andere Elektroporationsverfahren zur klinischen Anwendungsreife.
Durch die enge Kooperation mit dem Erfinder der IRE, Prof. Boris Rubinsky, konnten wir neben grundlegenden Experimenten im Labor, die uns halfen die physikalischen Grundlagen der IRE besser zu verstehen, auch präklinischen Studien an Versuchstieren durchführen, sowohl in den USA als auch in Europa, wobei das Forschungszentrum Jesús Usón Minimally Invasive Surgery Centre in Spanien und die Forschungseinrichtung Institutul Clinic Fundeni geleitet von Prof. Popescu in Bucharest, Rumänien, ideale Plattformen für diese Forschungsvorhaben waren.
In den Versuchen wurde klar, dass IRE nicht nur IRE ist, sondern auch thermische Komponenten aufweist und Elektrolyseprodukte produziert. Diese sind gewebetoxisch. Nur wenn diese Effekte verstanden und berücksichtigt werden, können mit der IRE sichere Gewebeablationen durchgeführt und optimale Resultate erzielt werden.
Viele der von uns heute in der klinischen Routine angewendeten Techniken basieren auf den Erkenntnissen aus diesen Studien. Dies ist der wesentliche Grund, warum wir IRE und andere Elektroporationsverfahren im VITUS Prostata Center anders einsetzen als die meisten anderen Kliniken – und erfolgreicher, mit weniger Nebenwirkungen.
Sehr Ungünstiges Klima Für Innovationen
Deutschland erschwert den medizinischen Fortschritt
Während wir von Kollegen aus dem Ausland unterstützt wurden und auch dort die IRE zur Behandlung von Tumoren eingesetzt wurde und zunehmend wird, schlug uns in Deutschland von Seite der akademischen Institutionen und von Urologen nur Kritik entgegen. Ärzte, die keine Erfahrung mit IRE oder anderen fokalen Therapien hatten, schwangen sich zu warnenden Experten auf: Die IRE sei völlig ungeeignet für die Behandlung von Prostatakrebs.
Das wurde unter anderem daraus abgeleitet, dass eine Studie zur Behandlung von Lungentumoren mit IRE schlechte Ergebnisse lieferte – die Tumore wuchsen weiter. Die Konklusion war, dass die IRE gänzlich versagt hatte. Mittels Wissen auf Schulphysik-Niveau kann man jedoch relativ schnell feststellen, dass Luft ein Isolator für elektrische Ströme ist. Da IRE auf elektrischen Feldern und Strömen basiert, ist es demnach keine Überraschung, dass IRE in der luftgefüllten Lunge nicht funktioniert. Die IRE aus diesem Grund als fehlgeschlagenen Versuch einer minimal-invasiven Krebstherapie abzutun, ist mindestens voreilig, und wahrscheinlich ein Fehler, wenn man die tausende von Patienten berücksichtigt, die durch diesem Verfahren bereits eine erfolgreiche und schonende Behandlung erhalten haben.
Es kommt erschwerend hinzu, dass die Unikliniken den Anspruch erheben, klinische Evaluationen von neuartigen medizinischen Techniken und Therapien ausschließlich in die Hand akademischer Institutionen zu legen. Solche Forderungen behindern den medizinischen Fortschritt und schaden damit letztendlich den Patienten, der keinen Zugang zu bereits entwickelten, verbesserten Therapien erhält.
Zehn Jahre hatten deutsche akademische Institutionen Zeit, die IRE zu evaluieren – bis heute ist nicht viel passiert. Weiterhin ist es schwierig für Patienten, die Kosten einer Behandlung erstattet zu bekommen. Damit bleibt die IRE ein Privileg für einige wenige Patienten, die sich die Behandlung leisten können.
Nachdem immer mehr Studien im Ausland und unsere eigenen publizierten Daten darauf hinwiesen, dass die IRE für die Behandlung von Prostatakrebs gut geeignet ist, dreht sich nun langsam der Wind. Auch deutsche Unikliniken wenden in Einzelfällen jetzt die IRE an. Es bleibt also zu hoffen, dass der Fortschritt doch nicht ganz stehengeblieben ist, und dass Patienten bald Zugang zu einer Auswahl an Behandlungen erhalten.